Die Angst vor der Privatisierung des Wassers geht um. Dabei ist die eigentliche Herausforderung im künftigen Umgang mit dem «blauen Gold» eine ganz andere.
Bei der Linken läuten die Alarmglocken. Nichts weniger als die Grundrechte sieht die SP in Gefahr. Die Ursache für die Aufregung: das Hahnenwasser. Der Kanton Zürich soll ein neues Wassergesetz erhalten, mehr als hundert Paragrafen enthält es, am Sonntag stimmt die Bevölkerung darüber ab. Es geht um Hochwasserschutz und Renaturierungen, um Abwasserreinigung und Erholungsräume.
Gestritten wird aber vor allem über einen Passus: Paragraf 107. Dieser sieht vor, dass sich Private an der Wasserversorgung beteiligen können. Die Firmen dürfen aber nicht mehr als 49 Prozent besitzen und über maximal einen Drittel der Stimmrechte verfügen. Die Gegner des Gesetzes warnen trotzdem lautstark vor der «Privatisierung unseres Trinkwassers», vor einem «Tabubruch», der zu höheren Kosten oder schlechterer Qualität führe.
Diese Angst scheint angesichts der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes übertrieben, doch die emotionale Diskussion zeigt, wie wichtig der Bevölkerung ihr Hahnenwasser ist. Im Kern geht es bei diesem Streit um eine Frage, die auf der ganzen Welt regelmässig diskutiert wird: Wem gehört das Wasser?
Schlagzeilen machen immer wieder Konzerne wie Nestlé, denen vorgeworfen wird, in Entwicklungsländern Wasserreservoirs auszubeuten, das Wasser abzufüllen und dann der Bevölkerung zu verkaufen. Von solchen Zuständen ist man in der Schweiz weit entfernt. Zwar mischen die Getränkemultis auch hierzulande im Wassergeschäft mit. So gehört die Mineralquelle im bündnerischen Vals bereits seit 2002 zum US-Konzern Coca-Cola, im Jahr 2008 kaufte Nestlé die Quellen in Henniez.
Doch die Wasserversorgung selbst ist Sache der öffentlichen Hand – und sehr föderalistisch organisiert. Die Gemeinden können die Wasserversorgung zwar auch delegieren, beispielsweise an privatrechtliche Genossenschaften. Die Verantwortung bleibe aber bei den Gemeinden, betont Paul Sicher, Kommunikationschef des Trinkwasserverbandes SVGW.
Die Hoheit über die Nutzung des Wassers selbst liegt grundsätzlich bei den Kantonen. Das bedeutet auch, dass diese eine Quelle, die eigentlich einem privaten Grundeigentümer gehört, für öffentlich erklären können, sobald sie eine gewisse Schüttung hat, also eine gewisse Menge Wasser gefördert wird. «Damit will der Gesetzgeber wohl unterstreichen, dass Wasser ein existenzielles Gut ist», sagt Sicher.
Rund 2500 Wasserversorger gibt es im ganzen Land. Einige davon sind heute schon in privater Hand. Im Kanton Zürich etwa gibt es seit je Genossenschaften, die im öffentlichen Auftrag der Gemeinden die Bevölkerung mit Trinkwasser versorgen. Im Kanton Zug kümmert sich eine private Firma um die Wasserversorgung, seit 1878 schon. Die Wasserwerke Zug sind zu 70 Prozent in privater Hand und gehören 4400 heimischen Kleinaktionären.
Experten warnen trotzdem davor, diese Beispiele als Argument für Privatisierungen zu nehmen. Urs von Gunten, Professor an der ETH Lausanne und Projektleiter am Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs (EAWAG), sagt: «Die Situation in Zürich oder Zug ist historisch so entstanden.» Aus heutiger Sicht gibt es für ihn aber keinen Grund, die Wasserversorgung zu privatisieren.
«Sobald sich Private an der Wasserversorgung beteiligen, ist die ganzheitliche Betrachtungsweise des Wasserkreislaufs nicht mehr im gleichen Umfang gewährleistet», sagt von Gunten. Denn die öffentliche Hand sorge sich nicht nur um die Qualität des Trinkwassers, sondern kümmere sich beispielsweise gleichzeitig auch um den Gewässerschutz.
Er verweist zudem auf andere europäische Länder, die mit der Privatisierung schlechte Erfahrungen gemacht haben. Berlin beispielsweise hat seine Wasserbetriebe 2013 nach vierzehn Jahren wieder vollständig zurückgekauft, nachdem überhöhte Preise Unmut in der Bevölkerung ausgelöst hatten.
Auch der Trinkwasserverband SVGW steht Privatisierungen kritisch gegenüber. Kommunikationschef Paul Sicher sagt: «In den 2000er-Jahren hat es in der Schweiz eine Liberalisierungswelle gegeben, als Elektrizitätswerke aus der Verwaltung ausgegliedert wurden. Damals seien oft auch die Wasserwerke mitgegangen».
Doch die neu entstandenen Aktiengesellschaften seien weiterhin zu 100 Prozent im Besitz der öffentlichen Hand geblieben, sagt Sicher. «Das funktioniert gut, die Infrastruktur ist modern, die Finanzierung sichergestellt. Fachlich gebe es keinen einzigen Grund, wieso der Einstieg von Privaten in die Wasserversorgung gefördert werden sollte». Das ist ausser im Kanton Zürich auch nirgends ein Thema. Privatisierungstendenzen sehen die Experten keine.
Die Frage, wem das Wasser gehört, wird in Zukunft trotzdem öfter gestellt werden – aber in einem anderen Kontext. Der Grund dafür ist der Klimawandel. Die Schweiz ist zwar in einer komfortablen Lage, sie ist das Wasserschloss Europas – und das wird sie auch bleiben. Trotzdem dürfte die Trockenheit saisonal und lokal zunehmen.
Langfristig werde die mittlere Niederschlagsmenge in den Sommermonaten abnehmen und die Verdunstung zunehmen, heisst es beim Bund. Nutzungskonflikte werden zunehmen wie ETH-Professor Urs von Gunten sagt: «Die Herausforderung wird sein, Wasser aus den riesigen erneuerbaren Wasserreserven der Schweiz in Gebiete mit saisonalem Wassermangel zu fördern», sagt er.
Text: Michel Burtscher / ch media